Im Wettlauf mit der Zeit

Das ganze Leben ist am Ende ein Wettlauf mit der Zeit, den wir nicht gewinnen können. Wir könnten genauso gut verweilen und genießen, was ist. Und entspannen, loslassen, ankommen – Hier. Jetzt. Bei uns.

Aber wir tun es nicht – die allerwenigsten von uns können die Beine hochlegen, wenn der Abwasch, das Smartphone oder die Familie rufen. Warum ist das eigentlich so? Weil wir Wünsche, Bedürfnisse und Ziele haben, etwas werden, darstellen oder im Leben erreichen wollen.

Gott hat die Zeit geschaffen, der Teufel den Kalender.

Erwin Chargaff

Daran ist an sich nichts Schlechtes – nur sind wir oft so damit beschäftigt, bessere, mitfühlendere, erfolgreichere oder glücklichere Menschen zu werden, dass wir uns selbst dabei vergessen. Um Eckart Tolle zu zitieren:

Bist du gestresst? Bist du so damit beschäftigt, in die Zukunft zu gelangen, dass die Gegenwart zum reinen Mittel geworden ist, dort anzukommen? Stress wird verursacht, wenn du „hier“ bist, aber „dort“ sein willst, wenn du in der Gegenwart lebst, und dich in die Zukunft wünschst. Das ist eine Spaltung, die uns innerlich zerreißt. Eine solche Spaltung zu schaffen und mit ihr zu leben, ist verrückt. Die Tatsache, dass es jeder tut, lässt es nicht weniger verrückt sein.

Eckart Tolle

Dort, wo wir gerade nicht sind – das, was gerade nicht (da) ist – so, wie wir (noch) nicht (ganz) sind: Immer scheint ein kleiner Mangel das letzte Quentchen zu sein, das uns trennt vom Glück – und uns hindert, einfach zu sein, was wir sind: Menschen, herrlich unvollkommen und gerade deshalb unendlich liebenswert. Die ganze westliche Welt teilt diese fixe Idee, nicht gut genug zu sein. Und so gibt es immer etwas, was wir noch brauchen, kaufen müssen, erreichen müssen, um “komplett” zu sein. Ein Schelm, wer sich in Leistungsgesellschaft und Kapitalismus bösen dabei denkt, wenn Werbung und Medien stets in diese wunde Kerbe schlagen.

Dieser “verrückte” Zustand der Zerrissenheit erzeugt das Gefühl, von der Welt und anderen, auch von unserem wirklichen Leben, getrennt zu sein. Und er erzeugt eine permanente Anspannung, physiologisch Dauerstress. Das ist nicht gesund – und tut niemandem gut, uns selbst nicht, unseren Nächsten schon gleich gar nicht und unserer Umwelt erst recht nicht.

Mensch, mach’ mal Pause – entspann’ dich und sei einfach du selbst – und paradoxerweise kann unser kleingeistiges EGO in solchen Momenten viel leichter die verrückte Vorstellung loslassen, wir wären nicht gut genug. Gut genug – wofür eigentlich? Wir genügen nirgends und nie, in keiner Rolle, keiner Situation und Lebenslage, müssen erst noch dies & jenes – aber dann, dann dürfen wir Pause machen, das Leben genießen. Mal ehrlich – Hand aufs Herz: Wie oft erzählt unser ach so rationaler Verstand diese uralte Story – und wir fallen darauf herein. Wie oft schieben wir die Erholung auf, um dies und jenes noch schnell zur erledigen. Und machen wir dann endlich Pause? Nein. Wir machen weiter, treiben uns an, füllen auch noch die letzte Lücke im Kalender und haben immer weniger Zeit.

Aber wir sind keine Leistungsmaschinen – sondern Lebewesen, denen nur eine begrenzte Lebenszeit gegeben ist. Paradoxerweise entspringt viel Stress genau dem Wunsch und Bedürfnis, diese kurze Zeit optimal zu nutzen und möglichst viel Schönes zu erleben. Das geht aber nur, wenn wir präsent sind – dabei, statt in Gedanken – beim Ärger von gestern oder den Sorgen von morgen. Nur erlebte Zeit fühlt sich nach einem erfüllten Leben an – gesparte Zeit, das lernt schon Momo von den Zeitdieben, den grauen Herren, ist tote Zeit. Und so fühlt es sich für viele Menschen heute an. Wer viele Dinge gleichzeitig tut, macht nichts wirklich. Wer auch die letzte Lücke des Tages mit sinnloser Beschäftigung füllt, muss sich nicht wundern, dass er sich abends fragt, wo der Tag geblieben ist.

Der Abwasch kann warten – das Leben nicht.

Es fragt auch nicht, ob wir fertig sind, zu gehen, wenn die Zeit gekommen ist und das irdische Dasein zu Ende geht. Also: Macht mal Pause – und lasst uns aus vollem Herzen dieses Leben erleben, das uns gegeben ist.

Und wer mal wieder richtig Auftanken und Herunterfahren mag, ist herzlich eingeladen und willkommen zu einem Tag der Entspannung:

„Spring! – Naturbad im Frühling“

Vielbesungen – der „Wonnemonat Mai“, Auftakt für den Frühsommer: Knospen voll Saft und Kraft, nach der Frühjahrsmüdigkeit kehren die Lebensgeister zurück und die Sonne lacht und lockt uns aus dem Haus heraus. Kaum eine Jahreszeit lädt uns mehr ein, sie mit allen Sinnen zu genießen – und damit immer wieder achtsam zu sein, in der Natur und in Bewegung. Und damit bin ich schon beim Thema: „Waldbaden.“

Was in Japan als eigene Form der Heilkunst schon lange therapeutischen Wert hat, wissen auch wir zu schätzen: In der Natur zu sein und sich an der frischen Luft zu bewegen, nutzen viele intuitiv, um abzuschalten und bei sich anzukommen. Und tatsächlich hilft die Atmosphäre des Waldes unserem reizüberfluteten Nervensystem, herunterzufahren und Stresshormone abzubauen. Dazu trägt Vieles bei: das gedämpfte Licht, frische Luft, ätherische Öle aus Boden, Blatt und Baumharz, emotionale Ruhe und natürlich die gemäßigte Bewegung. Gleichzeitig wirkt ein „Bad der Sinne“ in der Natur wie Aromatherapie und kurbelt die Immunabwehr an, lindert Ängste und Sorgen.

Denn es geschieht fast von selbst, dass sich unablässige Schweifen von Gedanken, die liebste Freizeitbeschäftigung unseres Unruhegeistes, im Takt der Schritte abklingt:

Gedanken wollen oft – wie Kinder und Hunde -, dass man mit ihnen im Freien spazieren geht.

Christian Morgenstern

Sören Kierkegaard, Existenzialist und Philosoph, flanierte täglich durch die Straßen Kopenhagens, denn er lebte von seinen klugen Gedanken – und einer davon ist dieser:

Verlieren Sie vor allem nicht die Lust dazu, zu gehen: Ich laufe mir jeden Tag das tägliche Wohlbefinden an und entlaufe so jeder Krankheit; ich habe mir meine besten Gedanken angelaufen, und ich kenne keinen, der so schwer wäre, dass man ihn nicht beim Gehen loswürde … Beim Stillsitzen aber und je mehr man stillsitzt, kommt einem das Übelbefinden nur umso näher … Bleibt man so am Gehen, so geht es schon.

Sören Kierkegaard, Brief an Jette (1847)

Mein Tipp: Das geht auch mit Musik …

Aus meinen Vertiefungsangeboten kennen einige die meditative, einzigartige und tief entspannende Musik von Ludovico Einaudi – auch er hat sich in sieben Spaziergängen unterschiedlicher Art vom Wald inspirieren lassen, und einen kleinen Vorgeschmack auf diesen Ohrenschmaus möchte ich euch mit auf den Weg geben, zum Erforschen und Experimentieren, für achtsames Hören, Gehen und Innehalten oder Fantasiereisen.

In diesem Sinne wünsche ich dir eine bewegte Zeit – voller Atempausen und Genussspaziergänge, wo irgend möglich, mit all deinen Sinnen.

Herzlich, Caroline